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Die Piratenpartei
… oder warum das Internet mehr ist, als nur Facebook und Twitter

(Image)Die Piratenpartei (PIRATEN) – Ein Phänomen der letzten Jahre, ein sensationelles Ergebnis zur Bundestagswahl 2009. Viele wichtige Diskussionen wurden in der letzten Zeit geführt, die ohne die erst 2006 gegründete Partei nicht zu Stande gekommen wären. Doch kurz vor dem Superwahljahr ist es ruhig geworden um die Orangenen …
Vorab: Auf Wunsch einiger Team-Mitglieder möchte ich hier zuallererst klarstellen, dass ich niemandem eine politische Meinung vorformulieren möchte, sondern lediglich gewisse politische Standpunkte aufzeigen und in Frage stellen will. Diese Haltung repräsentiert nicht xREL, sondern ist an einigen Stellen meine persönliche Meinung.

Warum schreibe ich diesen Blog? Ich habe in letzter Zeit immer wieder mit großem Interesse Interviews mit PIRATEN-Mitgliedern gelesen. Je mehr Angehörige dieser Partei meinten, sich der Öffentlichkeit zu stellen, desto mehr drängte sich mir eine Aversion zu gewissen Positionen auf. Datenschutz wird plötzlich als Trend aus den 80ern bezeichnet, der längst vorbei ist und Privatsphäre stempelt man mal eben als „analoges Phänomen“ ab (dazu: „Im Internet ist es eben vorbei mit der Privatsphäre“ [1]) – dazu später mehr.

Aber schauen wir uns doch erstmal an, wie die „Internetpartei“ entstanden ist. Henning Bartels schreibt in seinem Buch „Die Piratenpartei“, dass die Basis des Erfolgs darin liege, dass man im Gegensatz zu den sog. Altparteien das Internet als selbstverständlich sehe und als einzige Partei die klaren Vorteile des Mediums sehe. [2]
Die PIRATEN also als genuine, authentische Vertretung des Digital Natives. In der Tat verstand man es, sich zu etablieren und eine Glaubwürdigkeit zu erkämpfen, wodurch das Thema Internet für viele erstmals akut wurde. Diese Bewegung war längst überfällig und wichtig!

Jeder weiß mittlerweile, wie sich bspw. das schwedische Pendant entwickelte – wie dort das Thema Filesharing an Brisanz gewann und man in Skandinavien internationale Aufmerksamkeit erlangte.
Lange Zeit entwickelte sich im digitalen „Untergrund“ eine Szene, die zum damaligen Zeitpunkt offensichtlich erstmalig Massentauglichkeit bewies. Dies missfiel etablierten Firmen der Unterhaltungsindustrie und so ging man in die Offensive, was einen Rechtsstreit zu Folge hatte, der in aller Ausführlichkeit sicherlich anderswo besser erläutert ist.
Fakt ist, dass aus diesem langwierigen Hick-Hack schlussendlich am 1. Januar 2006 die schwedische „Piratpartiet“ hervorging.

Doch das Thema Filesharing taugte für eine deutsche Piratenpartei nicht.

Hier schrieb man sich Themen wie Überwachung, Bundes-Trojaner, Zensursula oder Killerspiele auf die Flagge. Themen, die für viele ein wirklich wichtiges Thema waren respektive sind.
Skandalös eigentlich, dass die Empörung der Nachbarländer zum Thema Unterhaltungsindustrie und Urheberrechtsklagen bis dato nicht nach Deutschland überschwappen konnte. Die Deutschen sind die bravsten User, worüber ich bereits berichtete. Trotz nahezu vorbildlicher Nutzung von Filmen/Musik/etc. klagt man also reihenweise „kleine Fische“ an und hierzulande empört es niemanden. Sehr fragwürdig.

Es musste erst etwas passieren, womit sich die damalige Familienministerin sicherlich nicht nur Freunde gemacht hat: Die Debatte um die Sperrung von Webseiten mit kinderpornografischen Inhalten. Sperren war die Devise – sprich: Weggucken statt handeln. Völlig zurecht begann ein wahrer Andrang auf die Piratenpartei, die anfangs die einzige Partei war, die das Thema wirklich beurteilen konnte und deshalb absolute Kompetenz durch öffentliche Aussagen bewies.

Umso merkwürdiger war der, im Zuge der Netzsperren-Debatte, Eintritt des aus der SPD geschiedenen Jörg Tauss in die Piratenpartei. Brisant deshalb, da Ermittlungen wg. „Besitzes kinderpornographischer Schriften u. a. in insgesamt 102 Fällen“ [3] liefen und er mit selbiger Begründung am 28. Mai 2010 verurteilt wurde.
Durch die relativ kurze Mitgliedschaft Tauss’ (Austritt am 30. Mai 2010) wurden die PIRATEN erstmals angreifbar. Das Wehren gegen die Netzsperren wurde vielerseits in teils maliziöser Art und Weise umgedeutet als Schutz der Pädophilen. Bei aller Beachtung, die man durch den damaligen Abgeordneten Tauss erhielt, war die Aufnahme seiner Person ein großer Fehler.

Dennoch verkraftete die Partei diesen Fehltritt und konnte sich rehabilitieren und mit etlichen Themen punkten. So prangert man bspw. die Gesetzesdiktionen und den Lobbyismus diverser Filmstudios und Plattenfirmen an, will die Privatsphäre im öffentlichen Raum stärken und positioniert sich klar gegen heimliche Onlinedurchsuchungen des Staates „zur Terrorabwehr“.

Löbliche Positionen.

Doch, wie bereits am Anfang erwähnt, verstrickt sich die Partei mehr und mehr in undeutlichen Positionen und laut Spiegel-Online ist man bereits „klar zum Kentern“ [4].

In letzter Zeit beschleicht mich das Gefühl von immer größer werdender Sozialromantik. Man bloggt, twittert und postet seine neuesten Ideen auf Facebook. „Mehr Demokratie, weniger Korruption, mehr Freiheit“ – klingt doch sehr populistisch und man gleicht sich dem Einheitsbrei der Großen an.

So las ich neulich das Interview, was ich am Anfang dieses Blogs bereits ansprach. Eine in der Piratenpartei engagierte (wie Spiegel-Online schreibt) – Julia Schramm – ist doch tatsächlich der Meinung, dass Privatsphäre längst der Vergangenheit angehöre; ja, sogar nicht mehr „trendy“ sei.

„Keine Macht den Datenschützern“ skandiert sie im Interview. Solche Statements sind provokant, „mal was anderes“. Oder, wie ich es zu sagen pflege, ganz großer Unfug. Nur weil es mehr und mehr Jugendliche und sogar Kinder („jeder dritte Elfjährige mit Profil im Netz“ [5]) zu Facebook und Co. zieht, sollen alle Datenschützer resignieren und schlichtweg alles preisgeben?
Ich denke an genau diesem Punkt hat sich die Piratenpartei klar zu positionieren. Und zwar nicht in der Art und Weise, wie jene Studentin aus Berlin. Es ist erschreckend zu lesen, dass Mitglieder einer Partei, die sich gegen Überwachung und Netzsperren wehrt, sich plötzlich auf die Seite der naiven Datenstripper stellt.

Öffentlich wirken weite Teile der PIRATEN auf mich amethodisch. Wo bleiben die Bekenntnisse zum verantwortungsvollen Umgang mit dem Internet, zur digitalen Erziehung der Jugend? Ich vermisse die Kompetenz jenseits von Twitter und Facebook!
Ist es also besser, Konzernen freiwillig die Daten zu überlassen, als dem Staat? Diese graduelle Erziehung zum Datenstriptease mache ich nicht mit. Nur weil man sich jetzt auch breiter aufstellen will und bei den Großen mitreden will (Stuttgart 21, …), verliert man das Wesentliche aus den Augen.

Vielleicht sollte man mal etwas mehr darauf achten, wie man den digital Immigrants die Scheu oder die berechtigten Zweifel am Internet nehmen kann. Mit „ist halt so“, oder, um im Facebook-Slang zu bleiben, „gefällt mir nicht“, findet sich niemand ab. Das kann man naiven Facebook-Gören erzählen, aber keinem verantwortungsvollen Wähler.
Die Aufmerksamkeit habt ihr, liebe Freunde der rauen See. Jetzt ist es an euch, eure Statements aus der Zeit, in der ihr groß geworden seid, mit Inhalten zu füllen. Denn das Internet braucht Regeln! Aber Regeln von Leuten, die davon etwas verstehen. Verhindert, dass die Regeln von Lobbyisten aus der Regierung gemacht, oder von spitzfindigen Anwälten verklausuliert werden. Und versteht mich nicht falsch: Ich meine keine Gesetzestafel a la Moses. Es geht alleine um fachlichen Input und Regulierungsvorschläge. Anarchie und jugendliche Rebellion helfen doch niemandem weiter. Dieses Geträume geht mir auf die …

Gegen etwas sein ist leicht. Aber wer in der politischen Landschaft von heute keine klaren Vorschläge macht, wird nicht ernst genommen. Aus gutem Grund.

Übrigens, auch abseits der Piratenpartei geht mir der naive Umgang mit Daten mehr und mehr auf den Keks. Wer glaubt denn, dass es wirklich unmöglich ist, Daten im Internet geheim zu halten? Da geht es nicht um „unhackbar“ oder „bombensicher“. Es geht darum, sich selbst vor voyeuristisch veranlagten Personalabteilungen, Datenkraken, Perversen, etc. zu schützen. Ganz einfache Dinge.

Abschließend sei noch erwähnt, dass ich mich keinesfalls als Richter der Piratenpartei aufspielen will. Ich denke, dass ich die Chancen ausreichend aufgezeigt habe – denn die Chancen sind da, nur an das Nutzen selbiger glaube ich leider immer weniger.


Fußnoten:
[1] Schramm, Julia (10.03.2011): „Privatsphäre ist sowas von Eighties“. Online: http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/0,1518,749831,00.html
[2] Vgl.: Bartels, Henning: „Die Piratenpartei“, Berlin, 1. Auflage, Sept. 2009, S. 8-12
[3] Webseite d. Landesgerichts Karlsruhe, aufgerufen 10.03.2011: http://www.landgericht-karlsruhe.de/servlet/PB/menu/1254838/index.html?ROOT=1160451
[4] Theile, Merlind (19.11.2010): „Klar zum Kentern“. Online: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,728903,00.html
[5] Focus online, kh, (19.02.2011): http://www.focus.de/digital/internet/facebook/communities-jeder-dritte-elfjaehrige-mit-profil-im-netz_aid_601433.html

ZeDeRom
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11. März 2011, 18:40 Uhr
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